Mein Corona-Quarantäne-Tagebuch

Mit 48 das erste Mal Hausarrest. Wow.

Mein persönliches Corona-Quarantäne-Tagebuch

Ich stehe vor Wochen eines Abends draußen und gucke in den Himmel. Nur wenige Sterne sind zu sehen. Es herrscht absolute Stille. Das ist nicht ungewöhnlich. Heute jedoch wirkt alles unheimlich. Ich starre nach oben und habe plötzlich ein Bild von etwas Großem, Unheimlichen, dass zum Sprung ansetzt. Es zieht mir eiskalt den Rücken rauf und ich gehe wieder ins Haus.

Das Virus kursiert seit Mitte Dezember. Viel zu spät wurden meines Erachtens nach die Mühlen in Betrieb genommen. Ist ja weit weg oder: Ich kann dich nicht seeeeheeeeen! Und bei mir so´n bissl der Gedanke im Kopf: Die Chinesen wieder. Ich gebe es zu. Pfui.

In den Medien täglich Berichte und Reportagen. Weit weg. Dann Italien. Ohohoh. Trotzdem reisen alle in die Skigebiete. Jeder schiebt es weit von sich.

Dann der erste Fall in Potsdam…Berlin. Jetzt wirds komisch. Aber ich lasse mich nicht anstecken. Nicht vom Virus und nicht von der Angst. Aber am Hintern vorbei geht es mir nicht.

Ich habe erste Kundenabsagen. 2x wegen Grippe. 1x ein Auftrag für ein Reiseunternehmen. Wir sollten eine Website erstellen. Fällt aber aus, weil das Unternehmen so dermaßen mit Stornierungen zu tun hat, dass sie verständlicherweise ihr Geld zusammenhalten müssen. Und so wird es immer mehr Kreise ziehen, denke ich noch. Von dem Geld hätte ich 3x Miete zahlen können. Was nun?

Eine Freundin klagt über Fieber und hat fiesen Husten. Sie fährt zum Arzt (soll man ja eigtl. nicht) und bekommt den Test mit nach Hause. Keine Anweisung, so lange daheim zu bleiben. Ich verstehe es nicht und zweifele daran, dass auch wirklich jeder Landarzt genau weiß, was zu tun ist. Oder ist es Ignoranz? (Zum Glück ist es dann doch „nur“ eine normale Grippe. Das Ergebnis kam 4 Tage später. Was auch nicht gerade schnell ist, oder?

Freitag, 6.März. Mädelsabend. Ein Drittel der Zeit beschäftigt uns das Corona- Virus. S. erzählt, ihre Firma habe gerade 30.000€ in den Sand gesetzt für abgesagte Veranstaltungen. Und eigtl. gehts gerade erst los.

Am Samstag Vormittag besucht mich ein Freund aus Berlin. Er wirkt verunsichert. »Katrin, wenn du in den Nachrichten hörst, dass Stadtteile Berlins abgeriegelt werden, weißt du, dass ich in dem Moment meinen Zündschlüssel rumdrehe und rausfahre. Meinen LKW parke ich da, wo er immer steht, ok?« Er zeigt auf meine große Wiese und ich nicke lachend. Aber das Lachen ist schon ein wenig schief.

Am Nachmittag trudeln dann über Facebook erste Meldungen ein. In Neustadt gab es bei einer Besprechung im Reiter- Internat einen Corona- Fall. Eine Frau aus Berlin brachte ihn mit. Alle 19 Personen, die mit an der Besprechung teilgenommen hatten, werden unter Quarantäne gesetzt. Mein Richard spekuliert auf schulfrei.

Neustadt. Eben noch weit weg. Jetzt greifbar.

Sonntag, 8. März. Bei Facebook gehts jetzt richtig ab.100e Posts. Teils wütende, teils verunsicherte Leute, andere mit einem: Haltet doch mal die Füße still. Und auch ich tausche mich aus mit der Familie in Potsdam, mit Freundinnen. Wer weiß was? Und: Stell dir vor… Fest steht: Die Schule wird geschlossen. 730 Schüler müssen daheim bleiben. Mit ihnen sämtliche Lehrer, Erzieher, UND: alle mit im Haushalt lebenden Personen. Na klasse.

Verdammt, ich hätte doch ein paar Hamster kaufen sollen.

Aber ich hasse Nagetiere. Und bin mir nicht sicher, dass ich mich mit denen sicherer gefühlt hätte.

Es herrscht große Unsicherheit. Und ich fühle mich schlecht informiert. Wie verhalte ich mich? Warum schreibt die Schule nix? Die Klassenlehrerin, die doch für wichtige Informationen eine Mail- Liste erstellt hatte? In den Nachrichten nix. Und später nix Brauchbares. Es kann doch nicht sein, dass man sich über Facebook schlau macht?

Und so beginnt dann also meine Quarantäne.

Tag 1: Montag Stell mir den Wecker auf halb acht. Der Kusenk ruft schließlich an. Immer um 7.42Uhr auf dem Weg zur Arbeit. Ich berichte ihm von den aktuellen Ereignissen. Und auch von meinen Sorgen. Der Schlaumeier meint, ich könnte doch meine Interviews am Telefon führen. Sehr witzig. Der weiß echt Bescheid. Ommm. Aber er hat natürlich recht, wenn er sagt, dann könne ich ja jetzt mal Dinge erledigen, die sonst liegen geblieben sind. Und da fällt mir ne Menge ein. Aber für den ersten Tag habe ich eh noch genug zu tun.

Also setze ich mich nach dem üblichen Haushaltsgedöns an den Rechner. Bastel zwei Anzeigen, schreibe Rechnungen. Frühstück. Seeehr spätes Frühstück, denn das Kind kann ja ausschlafen.

Aufgeregt sind gefühlt alle. Im Mädels- Chat große Verunsicherung. Auch in Kyritz im Gymnasium Chaos. Zehn Lehrer in Quarantäne.

Post Gesundheitsamt: Schüler und Eltern müssen daheim bleiben.

Später knöpfen wir uns die Rampe vor. Tackern Kükendraht ans Holz, weil mir die Spatzen auf den Keks gehen. Sie dürfen gern überall bauen und kacken. Aber nicht über meinem Sitzplatz.

Dann winkt die Nachbarin uns ran. Harkt hinten im Garten. Richard und ich bringen Holz rein, fahren Dreck weg. Die Nachbarin ist sehr besessen. Und ich fühl mich verpflichtet, mitzumachen. Ist aber gar nicht mein Plan. Hab weder Lust, noch Zeit. Mein Nacken schmerzt, dann der Arm. Aber letztendlich siehts wieder schön ordentlich aus. Thema auch hier: Corona.

Und zack, isses auch schon 15 Uhr. Ich koche Kaffee und nehme den aufgetauten Kuchen mit hoch. Schaue mit Richard eine Folge „Big Bang“.

Die Fb- Kommentare nerven. Wildes Geposte. Unqualifizierte Menschen geben Müll von sich. Dinge wie: Die wollen nur von den Flüchtlingen ablenken....und überhaupt sind die Flüchtlinge Schuld, die alles ins Land schleppen. (Weil die nämlich über Wuhan anreisen. Wisst ihr ja.) Und überhaupt das Ganze... na ihr habt die ja gewählt. Ich könnte kotzen, wenn ich sowas lese. Aber ich will nicht reagieren. Das gibt ne Endlosdiskussion und man gibt den Schwachmaten ne Plattform, die man ihnen nicht geben sollte.

Wiederholt stehe ich vorm Bücherschrank und gehe Reihe für Reihe durch. Hab alle gelesen. Einige mehrmals. Aber alles, was ich vor Jahren mochte, mag ich heute nicht mehr. Anna Karenina. Soll ich mich an den Wälzer wagen? Ich lese 10 Seiten. Nee. Ich bin nicht in Stimmung für Eheprobleme und Untreue.

Ich merke, dass ich anfange, mich zu langweilen. Dabei ist das hier Tag 1! Und wie sehr freue ich mich sonst über Langeweile!

Hab ich nicht vor ner Stunde noch gedacht: Cool. zehn Tage nicht schminken, Nägel lackieren, Haare richten. Selbst wenn ich nicht dusche, interessiert es keine Sau.

Gegen Abend fragt mich eine Freundin, wie ich den Tag verbracht hab. Stimmt, ihre Tochter geht auch in Neustadt zur Schule. Ich berichte ihr von meinen Machenschaften und rühr derweil Marmelade. Sie meint, sie vermummt sich jetzt und wird im Dunkeln Fahrrad fahren, sonst dreht sie durch.

Tag 2, Dienstag Ein wunderschöner Sonnenaufgang simuliert Friede, Freude, Eierkuchen. Es ist noch zu früh. Halb sieben! Dabei wollte ich doch ausschlafen!

Kein Notizbuch am Bett. Wie merk ich mir die 200 Dinge, die mir durch den Kopf gehen?

Ich könnte heute in den Garten gehen. Graben. Harken. Zwei kleine Blumenbeete anlegen. Es zieht sich zu. Schlechtwettervariante: Spinnweben entfernen in der Diele. Letztens schwebten sie überm Besuch, der nach der Führung durchs Haus genau drunter stehen blieb. Um zu bewundern, wie ich die große Hütte sauber halte. Eijeijei.

Ich könnte mir auch ein Regal bauen für die Küche. Hüser immer mit der blöden Mikrowelle rum. Allgemein wäre gründliches Putzen sinnvoll. Aber eigtl brauch ich dazu auch Sonne. Sonnst fehlt mir die Lust. Das Auto müsste ich auch unbedingt mal aussaugen! Da schäm ich mich inzwischen schon selber. Und DAS will was heißen!

Im Grunde hätte ich auch im Büro genug zu tun. PC aufräumen. Entmüllen. Ordner sortieren. Den Auftrags- Film weiter schneiden. Ja ich könnte sogar meine Buchhaltung erledigen für 2019. Oder endlich die Geschichte von Jan und Jane anfangen!!!

Erstmal Körperpflege. Minimiert. Wen interessierts, ob ich geschminkt, rasiert, lackiert bin. Das hat ja auch was Positives. Den ganzen Tag in Jogginghose. Es droht keine Gefahr, spontanen Besuch zu bekommen. Beim Duschen knirscht es im Rücken. Fühlt sich an, als hätte sich ein Wirbel verdreht. Kriege nun den Arm nicht mehr hoch. Klasse.

Ich kann nicht lange sitzen. Es tut höllisch weh. Aber wegen der Quarantäne darf ich weder zur Physiotherapie, noch zum Frisör. Auch da sage ich ab. So sitze ich also immer nur zehn min. und springe dann wieder auf. Werfe später eine Tablette ein, mach mir ein Körnerkissen warm…

Die Nachbarin fährt heut einkaufen. Ich muss ihr ne Liste mitgeben. Hab ich noch Bargeld? Oh Mann. Muss wohl nachts mal vermummt an irgendnen Automaten, und Taler beschaffen. Solange noch was drauf ist.

Als ich der Nachbarin eine Einkaufstasche und Geld vor die Tür stelle, brüllt ihr Mann: »Komm mir bloß nicht zu Nahe!« Zum ersten Mal fühle ich mich wie eine Aussätzige. Und auch sie fragt, ob ich das Geld desinfiziert habe. Sicher ein Scherz, aber…? Ich könnte heulen.

Meine Motivation schwindet. Man möchte eigtl. keine Nachrichten mehr hören, geschweige denn auf Facebook schwachsinnige Kommentare lesen.

Bloß keine Panik!

heißt es immer wieder. Aber genau das passiert. In dem man sie vermeiden will mit 100en Berichten, 24/7..

Heute soll noch eine Öllieferung kommen. Ich müsste den Mann in den Keller geleiten. Wie stell ich das an? Rufe ich aus dem oberen Stock Anweisungen?

Das mit dem Heizöl funktioniert dann ganz gut. Der Fahrer kommt nicht ins Haus, Geld liegt abgezählt bereit. Später bringt der Postbote ein Paket mit Klamotten, die ich mir bestellt hatte, als die Welt noch in Ordnung war. Als ich ihm mit ausgestrecktem Arm die Tür öffne, lacht er. »Na? Kind in der Neustädter Schule?« Jipp.

Das Paket stelle ich auf den Tisch. Beäuge es von weitem. Ich könnte es so wieder zurückschicken. Muss mein Geld zusammenhalten.

Ich rolle mich auf dem Sofa ein und seufze. Schlafe sogar ein. Ich bin müde und depri.

Und dabei ist das erst Tag 2!

Seit gestern gucke ich rbb- Nachrichten. Stand heute: 1280 Infizierte in Deutschland. 630 Tote in Italien. (3000 in China.)

Tag 3, Mittwoch

Roter Sonnenaufgang. Morgenrot- schlecht Wetter droht. Halb sieben. Menno. Ich stehe trotzdem auf. Koche mir einen Kaffee und genieße draußen die Sonne. Falls es später wieder nur schifft. Is das herrlich! Die Vögel zwitschern um die Wette, Rehe auf dem Acker... Reiher. Gute Laune. Aber von rechts ziehen dicke Wolken ins Bild und ich frage mal gen Himmel: »Warum machst du das? Mir einen schönen Tag vorgaukeln und dann: Päff!« Aber immerhin bin ich motiviert gestartet. So kann man es ja auch sehen, ge?

Wie gerne würde ich im Garten was racken! Mein Auto aussaugen...ich brauch dafür Sonne!

Während meines Telefonats mit dem Kusenk äußere ich meine Verwirrung über die gestrigen Nachrichten im rbb. Da spricht man plötzlich nur noch von einer freiwilligen Quarantäne. Hä? Auch auf der Seite vom LKR nur noch ein „Appell.“ Ist die Quarantäne nun doch nicht vorgeschrieben, sondern nur eine Empfehlung? Na das wärs! Das würde dann wohl heißen, man wird gar nicht krankgeschrieben oder erhält Geld vom Staat! Kusenk bestätigt: Nur, wenns ne Anordnung gab. Ob mir der Screenshot hilft, den ich von dem Text gemacht hatte?

Nach dem Duschen öffne ich doch mal das Paket. Probiere. Zum Glück gefallen mir nur drei Shirts. Oder will ich nur, dass mir der Rest nicht gefällt?

Ich habe im Garten gerackt. Mir das Gemüsebeet vorgeknöpft. Die Sonne blieb. Manchmal muss man einfach klare Worte finden. Selbst an Petrus gerichtet. Habe aufs Frühstück verzichtet, weil ich nicht riskieren wollte, dass die Sonne später weg ist.

Eine Freundin bringt Bücher. Sie umarmt mich ganz kurz und hofft, ihr ängstlicher Sohn hat es nicht gesehen, der im Auto wartet. Ich geb ihr Briefe mit.... Hatte online Marken gekauft und ausgedruckt. Ich Fuchs…

Bleibe ganz lange draußen. Morgen solls ja wieder regnen und stürmen.

rbb- Nachrichten: Einstufung Pandemie. 70% der Menschen werden den Virus kriegen. Es geht nur darum, zu verhindern, dass ihm alle gleichzeitig erliegen, weil dann das System einbricht. Macht mir Angst.

In Busse darf man nur noch hinten einsteigen. Man rät dazu, Veranstaltungen abzusagen. Großveranstaltungen werden untersagt. Stand heute: 1600 Infizierte. Drei Tote. Ein Kind. Wir stehen erst am Anfang. Bitte keine Panik.

Tag 4, Donnerstag Halb sieben. Das gibts doch nicht! Werde vom Regen wach, der so stark trommelt, dass ich Angst um die Fenster hab. Aprilwetter. Aber irgendwann verzieht sich der Regen. Es ist stellenweise stürmisch. Aber gut, hatte mir für heute nur Büroarbeit vorgenommen.

Bei FB erste Entwarnung. Vier der Getesteten in Neustadt negativ. Im Laufe des Tages trudeln die anderen Ergebnisse ein. Mehr will ich gar nicht wissen. Die Kommentare sind furchtbar. Den Bürgermeister sollte man absetzen! Ähm... warum?

So langsam gewöhne ich mich an die Isolation. Vielleicht sollte ich sie beibehalten.

Im Netz immer mehr witzige Posts zum Thema Homeoffice.

Nirgends ist man sicherer, als daheim.

Man überlegt, die Schulen überall prophylaktisch zu schließen. In anderen Ländern tut man das. Trump hat sein Land abgeriegelt. Auch Italien. Österreich machen dicht.

Und immer wieder: Bitte keine Panik. Nur Vorsicht. Aber Sondersendungen bis nachts. Das bewirkt das Gegenteil. Auch ich gucke bis halb eins. Fange um halb acht mit den rbb- Nachrichten an, dann Tagesschau, dann Sondersendungen.

Ich lenke mich mit Puzzeln ab. Großartig. Und peinlich.

Tag 5, Freitag
Sonne am Morgen. Ich hab schon Farbe im Gesicht. Trotz Hausarrest. Aber man wird ja mal aus dem Fenster gucken dürfen!

Wir assimilieren. Spätes Frühstück. Kein Mittag. Kind schläft bis elf. Soll er.

Gegen Nachmittag habe ich den letzten Auftrag erledigt. Was nun? Ich mache mich endlich an die geplante Fotowand. Fotograf und keine Bilder an den Wänden! Tzzzz. Aber wie sagt man: Der Schuster hat die schlechtesten Schuhe.

Für die Hälfte der Rahmen muss ich Aufhänger basteln. Das is ja voll meins. Ommm. Aber nach zwei Stunden hängen die Bilder. Sieht toll aus. Nach weiteren zwei Stunden scheppert es das erste Mal. Dann im zehn Minuten Takt. Ich erschrecke mich jedesmal kurz und weiß, meine Aufhängungen haben nicht gehalten. Ich weiß auch, es wird noch mal drei Monate brauchen, bis ich mich erneut dran mache.

Abends schaffe ich es, nur einmal Nachrichten zu schauen. Das Kind will mit mir eine Serie gucken. Ich hole einmal tief Luft... ach was solls.

Stand: keine Ahnung.

Tag 6, Samstag
Sonne blendet mich im Bett gegen sieben. Draußen alles frostig. Windstill. Vögel zwitschern. Trinke meinen Kaffee auf der Rampe. Ach gehts mir gut. Heute werde ich den ganzen Tag draußen verbringen. Das Auto aussaugen, ein Tischchen abschleifen ... vielleicht bissl graben. Tablette einwerfen, weil der Arm muckert.

Nachmittag: Alles erledigt. Auto ist innen sauber. Beet ordentlich. Tisch geschliffen. Jetzt kochen. Feierabend. Die Nachbarin brachte Soße für süß-saure Eier. »Dazu brauche ich Eier.« sage ich gespielt dreist. Aber die Nachbarin wär nicht meine Lieblingsnachbarin, wenn sie nicht ein Paket Eier in der anderen Hand halten würde. Ha!

Wenn das so weitergeht, vergammeln mir meine Vorräte. Erst gestern gabs frische Backware, vorgestern Nudeln, davor Auflauf. Neidisch? Ja, könnt ihr auch sein. So ne Nachbarin is mit Geld nicht zu bezahlen. (Darum kriegt sie auch keins. ;-D)

Veranstaltungen werden verboten. Erst heißt es noch ab 100 Personen, später ab 50.

Tag 7, Sonntag Herrliche Sonne, aber kalter Wind. Gartenarbeit fällt damit aus. Ich könnte jedoch putzen. Knöpfe mir Wohn- und Schlafzimmer vor. Mit allem Pipapo. Drei Stunden! Ziehe Betten ab, mach drei Waschmaschinen, Müll raus, saugen, wischen... ihr kennt das. Als ich schon keine Lust mehr habe, knöpfe ich mir noch die abgestürzten Bilderrahmen vor. Man, bin ich stolz auf mich!

Und gerade, als ich mir überlege, ob ich noch Kaiserschmarren anrühren soll, klingelt es und die Heinzelmännchen haben mir Rosinenbrot vor die Tür gestellt. Ach meine liebe Nachbarin! Ich sags ja: Unbezahlbar. Und so koche ich mir Kaffee und gleite auf die Couch. Verdient!

Jetzt kommen die Gedanken, die ich den ganzen Vormittag weggeschoben hatte. So langsam packt mich Unruhe. Ab übermorgen ist die Quarantäne aufgehoben. Was dann? Ich will gar nicht! Ich war so sicher vor dem da draußen! Ich fürchte mich, einkaufen zu gehen, mich unter Leute zu mischen. Wer hätte das gedacht? Hab mich so schön eingegroovt! Gar nicht so schlimm, die Quarantäne. Als Richard meint, er fühle sich langsam Hirnbrei tröste ich ihn mit den Worten: »Stell dir vor, wir würden in Berlin im Neubau wohnen und du hättest noch zwei kleine Geschwister!« Das hat ihn überzeugt.

Ich höre mir ein halbstündiges Podcast an von dem derzeit präsentesten Virologen, Prof. Drosten. Er sagt, dass es ne schwierige Situation auch für die Politiker sei. Logisch. Wer kann schon mit absoluter Sicherheit sagen: Was ist jetzt richtig, was falsch? Also nicht meckern!

Auch die Stimmen, die anfangs immerzu nörgelten: „ Ne normale Grippe is viel schlimmer!“ werden leiser.

Täglich neue Infos. Was gestern beschlossen war, ist heute schon veraltet.

Ein Freund, der im Krankenhaus arbeitet, erzählt von ihren Vorbereitungen. Das große Lauern. Urlaubssperre, Betten vorbereitet, keine Vorräte an Mundschutz.

Mein Polizist hat am Dienstag Meeting. Ist auch gespannt auf die neuen Weisungen. Sind in Alarmbereitschaft. Berlins Straßen wirken gespenstisch, sagt er. Sie tragen noch immer keinen Mundschutz. Er findet alles bissl überzogen. »Aber wenn einer vom Virus erwischt wird, fällt die ganze Truppe aus.« jaaa, und ein Officer als Homeofficer... nun ja. (Schönes Bild übrigens.)

Eine Freundin sagt ihren Geburtstag ab für nächsten Freitag. Schon die zweite Party in einer Woche. Konzert fällt auch aus.

Wie geht es weiter? Wie sehen die nächsten Wochen aus? Monate?

Ich könnte mir vorstellen, dass wir irgendwann müde sind vom "Vorsichtig sein". Unser normales Leben zurück wollen. Ja, vielleicht sagen: Ach, mir doch egal. Ich kann es eh nicht verhindern. Wie bei Jemandem, der seit nem Jahr ein Verhältnis hat. Irgendwann fliegt er auf, weil er unvorsichtig wurde. Das passiert, weil derjenige überfordert ist von der permanenten Anspannung. Er will unterbewusst sogar erwischt werden. Damit der Spuk vorbei ist. Egal, welche Konsequenzen.

Mann, ich bin sooo weise. Aber jetzt halten wir das bitte alle aus. Für all die anderen Menschen um uns rum. Versprochen?

Am Dienstag kommt auch der Officer. Durfte ja vorher auch nicht her. Wegen der Quarantäne. Auf unsere Polizisten müssen wir achten. Falls es irgendwann eskaliert. Ihr kennt die Szenarien aus den Blockbustern. ;-) Und erste Menschen prügeln sich wegen Klopapier. Verkäuferinnen, Krankenschwestern werden zu Heldinnen. Ja, das sind sie.

Beschluss: Kitas und Schulen bleiben ab Mittwoch zu. Deutschland macht die Grenzen dicht. Ab Montag früh.

Und das war sicher noch nicht das Ende.

Aber in Italien singen Menschen während ihrer Ausgangssperre aus den Fenstern. Es gibt mehrere Facebookposts dazu. Ich könnte jedesmal weinen. Das ist so schön! Würden wir sowas auch hinkriegen? Ich stelle mir gerade vor, wie ich mich oben aus dem Fenster schäle und träller. Wahrscheinlich würde mein einziger Nachbar nur hochschaun und brüllen: Gehts noch?! Aber es ist trotzdem bewegend und macht Mut. Und auch die witzigen Posts sind nicht pietätlos, sondern sorgen doch immer für ein Lachen, auch wenn uns längst nicht mehr danach ist.

Tag 7, Montag Wunderbarstes Frühlingswetter. Trinke Kaffee im Bett. Wie dekadent! Nebenbei mache ich ein paar Näh-Reparaturarbeiten. Erst gestern hatte ich einen großen Stapel Wäsche gebügelt. Und weil das letztendlich wie shoppen ist, wenn man das nur 2x im Jahr praktiziert, bin ich froh, meine Bestellung wieder zurückgeschickt zu haben. Da tauchen nämlich Teile auf, an die ich schon gar nicht mehr dachte. Ich Fuchs!

Dann gehe ich in den Garten. Wühle im Gemüsebeet und überlege, ob ich es vergrößern soll und wieviel Kartoffeln ich setzen muss, damit ich mich selbst versorgen kann? Blödsinn.

Mein Rücken mosert irgendwann und als hätte jemand den Schalter umgelegt, hab ich keine Lust mehr. Ich werfe ein Hühnchen in den Topf. Morgen soll es Frikassee geben. Gerade bin ich so ko, dass ich diesen Vorsatz schon bereue. Frikassee ist so mit das Aufwändigste, was es gibt, oder?

Wie ich so auf der Couch liege habe ich das Gefühl, mein Schädel qualmt. Oh Gott, krieg ich Fieber? Hats mich erwischt? Ich krieg sonst nie Fieber! Von wem soll ichs bekommen haben?

Hilfe!

Kurz bevor ich in Panik ausbreche, klickerts. Ich war mind. sieben Stunden draußen in der Sonne. Und es könnte einfach n kleiner Sonnenstich sein. Ein Blick in den Spiegel gibt mir recht. Gesicht und Hals leuchten rot. Dabei hatte ich mich sogar eingecremt. Naja gut. Sieben Stunden schafft keine Creme.

Eigtl wollte ich mich noch an den Rechner setzen. Aber ich kann nicht. Bin platt. Schlafe um halb zehn.

Stand: Die Grenzen sind geschlossen. Lange LKW- Schlangen. Bars und Restaurants bleiben zu. Oder dürfen nur bis 18Uhr öffnen. Ab Mittwoch schließen sämtliche Händler bis auf Supermärkte, Tankstellen, Apotheken… Touristen sollen zurückgeholt werden. In Neuruppin gibt es nun einen Drive- In für Schnelltests.

5424 Infizierte in Deutschland
Spanien 7800
Frankreich 4500
Österreich 800
25000 Italien und 1800 Tote

Tag 10, Dienstag. Heute fahre ich einkaufen. Mache mich zum ersten mal wieder zurecht. Sehe relativ frisch aus wegen der Gesichtsbräune. Bin aufgeregt, als hätte ich eine Prüfung zu bestehen. Die Challenge lautet: Nicht den Virus mit heim bringen! Nicht ins Gesicht fassen. Nicht vergessen, die Hände zu waschen. Meine Einkaufsliste ist doch recht lang. So leer war der Kühlschrank noch nie. Immerhin war ich zwei Wochen nicht einkaufen. Tatsächlich brauche ich nun Klopapier. Bin gespannt auf die Regale.

Im Übrigen weiß ich gar nicht, was am Klopapier so existenziell ist. Wurden Durchfälle prophezeit? Oder braucht man es, um die Hamsterkäfige auszupolstern?

Wenn ICH heute einkaufen gehe, horte ich Schoki.

Das war das Einzige, was mir fehlte. Die Vorräte im Süßigkeitsfach wurden täglich schmaler. Selbst die ekligen Pralinen und gruselig scharfen Chips fielen uns irgendwann zum Opfer. He! Und nichts ist schlimmer, als ne Unterzuckerung, nicht wahr Mädels?

So dann…mein Hausarrest ist aufgehoben. Erstmal. War gar nicht schlimm. Ich werde einkaufen und dann in meinen Turm zurück gehen. In der Hoffnung, ich kann diesem Virus entgehen. Und alles wird irgendwann wieder normal. Nein. Noch besser. Weil wir Vieles mehr schätzen können. Freunde, Begegnungen, ein Lächeln.

Und was werden wir uns die Hände schütteln und uns küssen!!!!

Ich wünsche uns allen, dass wir gesund bleiben. Oder wirklich nur leichte Symptome kriegen. Ihr wisst ja: nicht am Griff vom Einkaufswagen lutschen, immer gut Hände waschen, nicht ins Gesicht fassen, nicht mal ins eigene. Und immer schön in die Kniekehle husten, wie es mein Kusenk immer sagt und dabei selbst am lautesten lacht.

Ich hoffe, wir bleiben solidarisch, geben acht aufeinander, teilen die letzte Rolle Klopapier.

Krise bedeutet immer auch Chance. Vielleicht rücken wir wieder näher aneinander, weil wir alle zusammen einen gemeinsamen Feind bezwungen haben. Wir werden unseren Enkeln erzählen, was das für eine Zeit war. Und nebenbei freut sich Mutter Natur und holt tief Luft, weil die Flieger am Boden bleiben.

Passt auf euch auf! Herzlichst…Frau kULTich

PS: Sollte mir der Polizist jetzt was anschleppen, nachdem ich so herrlich isoliert war…Ich kann für nix garantieren!